SV in Berlin: Mitmischen erwünscht

Wie funktioniert politische Meinungsbildung? Was macht ein Abgeordneter im Bundestag? Wer setzt sich bei einem Gesetzentwurf durch und wer nicht? Welche Rolle spielen dabei die Lobbyisten? Welche Aufgaben genau haben Fachausschüsse? Damit das Wissen darüber wächst und nicht nur graue Theorie bleibt, suchten 29 Schülervertreter gemeinsam mit ihren SV-Lehrern im Rahmen einer dreitägigen Demokratiewerkstatt unter Leitung von Anna Hartfiel und Jan Rakelmann (Stätte der Begegnung e.V. Vlotho) das Reichstagsgebäude und andere Häuser des Parlaments in Berlin auf.

Im Paul-Löbe-Haus erhielten alle 14- bis 18- jährigen Jugendlichen nach dem Zufallsprinzip ein neues Leben: Namen, Partei und politische Ausrichtung wurden ihnen zugewiesen. Man war entweder Abgeordneter der Bürgerlichen Bewahrungspartei (BP), der Partei für Gerechtigkeit und Solidarität (GP) oder der Partei für Engagement und Verantwortung (PEV). „Endlich darf ich mal als Abgeordnete mitentscheiden und mitmischen“, freuten sich die Schüler. Nun wurden in den Fraktionen sowohl Schriftführer als auch die Fraktionsvorsitzenden gewählt. Danach ging es an die Arbeit mit der Gesetzesvorlage der Bundesregierung, den Verkauf aller Arten von Alkohol an Jugendliche zu verbieten und Werbung für Alkohol zu beschränken. Die unglaublich motivierten Nachwuchsparlamentarier tagten mehrere Stunden in den jeweiligen Arbeitsgruppen (Jugendausschuss und Wirtschaftsausschuss) und in den Fraktionen. Während einer kurzen Erholungspause konnten auch Gespräche mit Abgeordneten anderer Fraktionen, Landesgruppen oder Verbandsvertretern geführt werden. Die Schüler nahmen die Gelegenheit wahr, um sich mit realen Mitarbeitern des Deutschen Bundestages über deren Tätigkeit zu informieren. „Ich bin jetzt richtig neugierig geworden und könnte mir durchaus vorstellen, später einmal in die Politik zu gehen“, äußerten sie begeistert.

Nach der ersten Lesung im Plenum gingen die fertiggestellten Gesetzentwürfe wieder in die Ausschüsse zurück, wo die Nachwuchspolitiker sie überarbeiteten und sich darüber abstimmten, zu welchem Gesetzentwurf sie ihre Zustimmung oder Ablehnung empfehlen. Am Ende erfolgte in der Dritten Beratung die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. Sichtlich stolz über das erreichte Ergebnis und das erworbene Wissen über die Mechanismen der Willensbildung in unserer parlamentarischen Demokratie erkundeten alle Teilnehmer das Reichstagsgebäude mit seinen unterirdischen Gängen und der 1200 Tonnen schweren Glaskuppel, die zum Wahrzeichen des Bundestages, wenn nicht überhaupt zum Symbol der Hauptstadt Berlin geworden ist.

Was wäre ein Berlinbesuch ohne Kulturerlebnisse. So genoss die Demokratiewerkstatt-Gruppe das legendäre Theaterstück Linie I im voll besetzten Grips-Theater. „Es war fantastisch!“, waren sich Pia Siekermann und Jennifer Hibert von der Stemweder-Berg-Schule einig.

Der Besuch der Ausstellung über die deutsche Geschichte nach 1945 bis zur Gegenwart im Deutschen Historischen Museum ergänzte den schulischen Geschichtsunterricht und weckte  durch viele Exponate Neugierde. Am dritten Tag ging es auf Entdeckungsreise durch den Bezirk Kreuzberg. „Sobald man Kreuzberg hört, hegt man sofort gewisse Vorurteile. Man muss sich aber ein eigenes Bild von der Situation verschaffen. Ich habe bisher noch nie erlebt, dass sich Bürger eines Ortsteils so stark und erfolgreich gegen die Ansiedlung eines großen Konzerns wehren, um ihre alten Standards bewahren zu können. Die Bewohner hier scheinen im Umgang mit anderen Religionen und Kulturen sehr tolerant und offen zu sein.  Sie machen Kreuzberg lebendig und schön“, schwärmten die Schülersprecher.

Danach erkundeten die Schülervertreter die weltberühmte 1300 Meter lange East Side Gallery und erfuhren von Lehrerin Elke Schoenfelder (HS Bünde) viele Details über die symbolhafte Geschichte dieses Kunstwerks.

Am Ende waren sich alle Teilnehmer der Fahrt darin einig, dass unsere weltoffene Hauptstadt ein geeigneter Lernort für eine Demokratiewerkstatt ist. „Das Programm war sehr interessant und hat auch dazu beigetragen, dass sich die Schülervertreter anderer Schulen kennen lernen und austauschen konnten“, freuten sich Pia, Jennifer und Frau Graue über die tolle Fahrt.